Bindung & berufliche Professionalität
Ein ganz großes Thema unter Therapeuten & Pädagogen ist weiterhin die Frage danach wie „viel“ Bindung zu den Kindern (und Eltern) gut ist. Ab wann eine Beziehung „zu eng“ ist und die professionelle Distanz überschritten. Eng gekoppelt an all diese Fragen ist auch die Sorge darüber, dass man resultierend aus einer engen Beziehung die Arbeit „zu sehr mit nach Hause nimmt“.
Natürlich habe auch ich meine Meinung zu diesem Thema, genauso wie jede andere Person, die über einen langen Zeitraum eng mit Kindern und ihren Familien zusammenarbeitet. Ich finde, wenn man in einem solchen Tätigkeitsfeld arbeitet, muss man sich mit diesen Fragen beschäftigen. Aber logischerweise muss nicht jeder dieselbe Meinung vertreten. Jeder sollte selbst entscheiden wo seine eigenen Grenzen liegen, was er/sie dauerhaft leisten kann und auch möchte.
Das Konzept des sicheren Hafens in der Bindung
Ich bin allerdings der felsenfesten Überzeugung, dass in der Arbeit mit behinderten Kindern und ihren Eltern eine gute Beziehung zueinander der Grundbaustein für sämtliche Erfolge ist. Erst wenn Kinder und ihre Eltern sich wohl & sicher fühlen, bauen sie Vertrauen auf. Es geht eben nicht nur darum, die Kinder und/oder Familien zu betreuen, sondern sie in sämtlichen Bereichen zu unterstützen und zu fördern. Dafür muss aber eine gewisse Basis vorhanden sein. Insbesondere bei Kindern ist das Explorationsverhalten, die Motivation sowie Bereitschaft sich neuen Herausforderungen zu stellen stark eingeschränkt, wenn das Gefühl besteht keinen sicheren Rückzugsort zu haben.
Warum Bindung immer gut ist
Erst, wenn man eine Beziehung aufgebaut hat
〰️kann man einen wahren Einblick in den Alltag der Familie erhalten
〰️ kann man wirklich Unterstützung bieten
〰️ kann man grundlegende Strukturen und Verhaltensweisen ändern
〰️kann man die Frustrationstoleranz aller Beteiligten ausschöpfen (was nun einmal in der Förderung/Beratung oft vorkommt) 〰️ kann man an tiefgreifenderen Schwierigkeiten arbeiten 〰️kann man konstante Veränderungen bewirken
Geht das nicht auch ohne enge Beziehung ?
Erfolge in der Therapie, Beratung sowie Frühförderung lassen sich auch erzielen ohne eine echte, enge Beziehung. Aber eben nur zu einem gewissen Maß. Ich halte mich auch eher an Empfehlungen eines Arztes, dem ich vertraue als an die eines fremden. Ich setze auch eher die Tipps einer Physiotherapeutin im Alltag um, der ich vertraue als die einer, der ich eben nicht vertraue. Und nach demselben Prinzip „funktioniert“ es mit Eltern. Das Ziel einer Beratung sollte es eben nicht sein, lediglich im pädagogischen Setting (oder therapeutischen) Veränderungen und Erfolge zu bewirken. Und ja spezifische Berufe, wie pädagogisch und/oder therapeutische also sprich Ärzte/-innen, Physiotherapeuten/-innen, Logopäden/-innen, Psychotherapeuten/-innen, usw. setzen einen gewissen Vertrauensbonus voraus. Grundsätzlich vertrauen wir ihnen bereits aufgrund ihrer Ausbildung und Berufung. Aber das Vertrauen, welches dazu führt, dass wir unsere Verhaltensweisen und Strukturen im Alltag ändern (also das, was wir kennen und uns jahrelang aufgebaut haben), das müssen auch sie sich „erarbeiten“.
Warum mehr als “nur” Vertrauen nötig sein kann
Ich setze hier den Begriff des Vertrauens mit einer engen Beziehung gleich. Natürlich gehört aber auch mehr dazu. Es gehört z. B. Verlässlichkeit, Respekt, Fürsorge, angemessene Reaktionen, Grenzen und Unterschiede respektieren dazu. Für mich gehört dazu, dass man die Menschen so nimmt wie sie sind. Natürlich möchte man im Rahmen einer Beratung oder/und Förderung meistens irgendwelche Dinge verändern. Aber diese Veränderungen sollten eben vor dem Hintergrund der Möglichkeiten der Eltern und des Kindes stattfinden.
Menschen ändern zu wollen, weil man selbst es möchte bringt auf lange Sicht gar nichts. Man kann sie lediglich dabei begleiten selbst Veränderung zu wollen und diese anschließend umzusetzen.
Die Arbeit mit nach Hause nehmen
Es gibt Kinder und Familien zu denen ist die Bindung enger als zu anderen. Und ich gebe mittlerweile auch offen zu, dass ich sicherlich mit der ein oder anderen Familie zusammenarbeite, bei der unsere Beziehung zueinander von außen betrachtet als „zu eng“ eingestuft werden würde. Aber genau diese Familien begleite ich mittlerweile bereits seit Jahren und die Kinder zeigen große Entwicklungsfortschritte. Und am Ende ist es das worum es mir geht.
Im Laufe der Zeit lernt man die Arbeit auch in Fällen, die kompliziert laufen nicht mit nach Hause zu nehmen. Und ja, trotzdem ist meine Arbeit auch zuhause oft ein Thema. Aber ganz ehrlich ? Bei wem denn nicht. Warum ist es so viel problematischer, wenn man sich als Pädagoge zuhause noch plattgesagt mit seiner Arbeit beschäftigt als wenn Bürokaufleute dies tun. Wenn diese sich abends beim Essen über ihren Chef/-in aufregen, nehmen sie ja genau genommen auch ihre Arbeit mit nach Hause.
Wer entscheidet jetzt wie eng die Beziehung sein sollte?
Letztendlich glaube ich, dass es wichtig ist eine Art der Beziehung aufzubauen, bei der alle sich wohlfühlen und die professionelle Distanz trotzdem gewahrt wird. Und abgesehen von der Schweigepflicht, Datenschutz, usw. steht es da jedem zu seine persönlichen Grenzen zu setzen.